Die zweite Veranstaltung zu Orten der Lehre und des Lernens fand als Paneldiskussion im ANCB The Aedes Metropolitan Laboratory am Pfefferberg in Berlin statt. Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten sind als Bildungseinrichtungen wichtige Institutionen unserer Gesellschaft. Diskutiert wurde daher aus architektonischer wie pädagogischer Sicht die räumliche Dimension von zeitgenössischen Wissenslandschaften. Gefragt wurde, welchen Lernkulturen folgend, diese entworfen werden und wie neue Räume des Lernens aussehen können, die sich über existierende Raumformate hinwegsetzen.
Teilnehmende
Vor dem thematischen Einstig in die Diskussion wurden die Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung willkommen geheißen und kurz vorgestellt. Dies waren: Vera Hartmann, Architektin und seit 20 Jahren bei Sauerbruch Hutton tätig, seit vergangenem Jahr zudem dort auch Partnerin. Als Projektleiterin betreut und verantwortet sie Projekte mit einem Schwerpunkt im Bereich Wohnungs- und Bildungsbau. Tatjana Schneider ist Stadtforscherin. Als Professorin für Architekturtheorie an der TU Braunschweig leitet sie dort seit 2018 das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt und die Sammlung für Architektur und Ingenieurbau; Christina Werner ist Geschäftsführerin des Instituts für Raumexperimente e.V.. Sie war seit der Gründung des Instituts für Raumexperimente von Olafur Eliasson an der Universität der Künste Berlin als Co-Direktorin für den Aufbau und das Programm des Instituts verantwortlich. Nach einer kurzen Einführung der Gesprächsteilnehmenden wurden diese gebeten, sich selbst dem Publikum vorzustellen. Zudem wurde einführend der persönliche Bezug des Moderators Lukas Feireiss zu jedem von ihnen skizziert. Aufmerksam auf Schneider ist der Moderator bereits zehn Jahren durch das Buch Spatial Agency: Other Ways of Doing Architecture geworden. Einige Jahre später hatte er die Gelegenheit, sie zu dem von ihm kuratierten und moderierten Symposium Social Design – Public Action an der Angewandten in Wien einzuladen. In diesem Zusammenhang entstanden auch zwei Publikationen, zu denen sie ebenfalls beigetragen hat. Aktuell haben beide die letzten anderhalb Jahre gemeinsam mit TheGreenEyl im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat die Ausstellung Living the City. Über Städte, Menschen und Geschichten im ehemaligen Flughafen Tempelhof entwickelt und kuratiert. Christina Werner und Feireiss blicken ebenfalls auf über zehn Jahre zurück. Kennengelernt haben sie sich im Rahmen des 2009 gegründeten Instituts für Raumexperimente, das sie gemeinsam mit Eric Ellingsen für Olafur Eliasson geleitet hat. Im Rahmen dessen vielseitigen Programms wurde Feireiss eingeladen, über seine Arbeit zu sprechen und an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen. Mit einigen der Absolventen des Instituts ist er weiterhin freundschaftlich verbunden. Hartman lernte er bei dem Gespräch zum ersten Mal kennen. Seit mehr zwanzig Jahren ist er jedoch freundschaftlich mit Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton verbunden.
Biografische Orte des Lernens
Alle Teilnehmenden setzen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit Wissen und Raum sowie Orten des Lernens auseinander: Schneider, theoretisch-politisch; Hartmann, architektonisch-praktisch und Werner, künstlerisch-experimentell. Vor diesem Hintergrund wurde zuerst über den Einfluss der Räumlichkeiten und Architekturen ihrer biografischen Schul-und Lernorte reflektiert. Hartmann sprach über die sehr unterschiedlichen Universitäten, an denen sie studierte – der BTU Cottbus, der ETSAB in Barcelona sowie der UDK Berlin – sowie über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser Lernlandschaften. Auch wurde über den Einfluss der räumlichen Komponenten dieser Bildungseinrichtungen diskutiert. Schneider schilderte Erfahrungen ihres akademischen Werdegangs von der Fachhochschule zur Technischen Universität in Kaiserslautern und von dort an die Universität in Glasgow, wo sie auch promovierte und noch lange Jahre in der Lehre in Großbritannien verbrachte. Werner sprach über den Einfluss ihrer Lernorte, der Universitäten Hildesheim und Tübingen, wo sie Kulturwissenschaften studierte sowie der Universität in Lund und der Kunstakademie in Malmö, Schweden, wo sie das Postgraduierten-Programm Critical Studies absolvierte.
Raum als dritter Pädagoge
Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungsberichte wurde nun mit den Teilnehmenden über die räumliche Dimension der unterschiedlichen Lern-und Wissenslandschaften in architektonischer wie pädagogischer Sicht diskutiert. Auch wurde gemeinsam mit ihnen erkundet, welchen Lernkulturen folgend diese gestaltet wurden. Denn mit den Worten des italienischen Erziehungswissenschaftlers Loris Malaguzzi, ist der „Raum (…) der dritte Pädagoge.“ Hinter diesem Satz verbirgt sich die These, dass der Mitschüler der erste, der Lehrer der zweite und der Raum der dritte Pädagoge sei. Auch wenn diese Einsicht in der Fachwelt eigentlich nicht angezweifelt wird, kommt der Raum in Bildungsdebatten jedoch immer noch relativ selten vor. Diese haben weitgehend die Lehrenden und die Methoden zum Thema. Als Co-Direktorin des Instituts für Raumexperimente war Werner für den Aufbau und das Programm dieses experimentellen Bildungs- und Forschungsprojekts verantwortlich. Eine räumliche Besonderheit des Instituts war, dass es im gleichen Gebäude wie das Studio Olafur Eliasson untergebracht war. Werner betonte die Bedeutung der räumlichen Angliederung und wie Schule und Künstlerstudio voneinander und den von jeweiligen Aktivitäten profitiert haben. Schneider berichtete von ihrem Ansatz am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt an der Technischen Universität Braunschweig, das sie zu diesem Zeitpunkt seit zweienhalb Jahren leitete. Sie erläuterte die räumlichen Veränderungen von fliederfarbig gestrichenen Wänden bis zur Raum- und Fluraufteilung, die sie im Rahmen ihrer Berufung nach Braunschweig durchgeführt hat und reflektierte kritisch über die Einfluss der physischen Räume, in denen wir lernen und den darin geltenden Policies auf die Art und Weise, wie wir lernen. Als Architektin und Partnerin bei Sauerbruch Hutton zeichnet Hartmann oft verantwortlich für Projekte im Bildungsbau, u.a. für die Berlin Metropolitan School. In Anerkennung der Tatsache, dass Lehrende und Lernende Räume brauchen, die mehr als Frontalunterricht zulassen, teilte sie konkrete, architektonische Aspekte und Leitmotive, die die Förderung von Lernen und Wissensaneignung unterstützen und die es beim Entwurf von Bildungsbauten besonders zu beachten gilt.
Zugang zur Raum- und Baukultur finden
Wir werden in von uns geschaffenen Räumen geboren, wir leben, lernen, lieben und sterben in eben solchen Räumen. Dennoch werden unsere (Lebens-) Räume häufig noch nicht in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung wahrgenommen. Erklärtes Ziel dieser Dialogreihe war es daher, die Öffentlichkeit auf das Thema Raum- und Baukultur aufmerksam zu machen und eine breit angelegte Debatte zu baukultureller Bildung zu initiieren. "Baukulturelle Bildung" so heißt es im Handbuch Baukultur braucht Bildung "sensibilisiert das Bewusstsein und regt die Wahrnehmung für die natürliche und gebaute Umwelt an, denn frei nach Goethe sieht man nur, was man weiß." Vor diesem Hintergrund wurde mit den Teilnehmenden über deren professionelle und pädagogische Zugänge zu Raum- und Baukultur gesprochen. Schneider forscht, diskutiert, schreibt über und leistet Widerstand gegen gewaltsame – ausbeutende, spekulative und ausschließende – Produktionen von Architektur, Stadt und Raum. Dabei ist es ihr immer wichtig, die Auswirkungen der damit einhergehenden Veränderungen auf Beruf, Praxis und Ausbildung zu thematisieren. Dies geschieht auch ganz explizit mit dem Ziel, andere Formen der Organisation, des Arbeitens und Produzierens herauszubilden. Als praktizierende Architektin im Bildungsbau ist Hartmanns Aufgabe in gewisser Weise das "Materialisieren von Pädagogik", wie es Matthias Sauerbruch während des vorbereitenden Auftaktkolloquiums formuliert hat. Ein architektonisch gelungener pädagogischer Raum, so Hartmann, trägt daher auch zu einer baukulturellen Sensibilisierung innerhalb unserer Gesellschaft bei. Auch innerhalb der Methodik des von Werner geleiteten Instituts für Raumexperimente war eines der Hauptanliegen, die Normen innerhalb derer wir lernen zu lernen, in Frage zu stellen. Auch ging es um das Kuratieren von Lernumgebungen, die Unsicherheiten Sicherheit bieten.
Neue Räume des Lernens
Einig waren sich alle Teilnehmenden, dass Schulen und Universitäten wichtige Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft darstellen, aber dass auch jenseits dieser Orte andere Situationen und Räume ebenfalls unzählige Möglichkeiten des Lernens anbieten. Vor diesem Hintergrund wurde anhand ihrer vielfältigen Erfahrungen abschließend über neue Räume des Lernens, die sich über existierende Raumformate hinwegsetzen, reflektiert. Die Diskussion, die sich nicht nur an Planende und Bauschaffende sowie Lehrende und Lernende richten sollte, sondern im Grunde an die gesamte Gesellschaft, verdeutlichte, wie jeder Einzelne und insbesondere Familien vielleicht sogar die wichtigsten Bildungspartner in der Bildung und Begleitung von jungen Menschen darstellen.